[Index Library Two] [Articles & Essays - N] [Die Deutsche Seiten] [Newsletter E 15] Pornografie für homosexuelle oder unser literarisches erbe?Wie 'Rechts' die Diskussion über die Zensur in Australien vereinnahmt hatKoinos Magazine #37 (2003/1)
Dies ist nicht etwa eine seiner Sexgeschichten, sondern eine Probe des Journalismus à la McDonald. In der heutigen Zeit ist es durchaus möglich, dass seine Bücher in Australien verboten werden, weil darin ohne Entschuldigung von (unter anderem) Minderjährigen die Rede ist. Die australische Zollbehörde hat, neben weiteren Veröffentlichungen, Exemplare von zwei Büchern von Boyd McDonald beschlagnahmt und hält sie in Erwartung eines Prozesses zurück. In Westaustralien müssen sich zur Zeit zwei Männer wegen der Einfuhr so genannter "Kinderpornografie" dieser Art vor dem Richter verantworten. Ein dritter Mann wurde bereits verurteilt. Ich vermute, dass es noch weitere Männer gibt, die sich in aller Stille schuldig bekannt haben. Über die Anklage, man sei ein "Kinderpornograf", wird man in der Öffentlichkeit ja kaum viel Aufhebens machen. Sollten aber die Rechtsfälle ohne Protest fortgesetzt werden, könnte die gesamte Schwulenlektüre, die sich mit Sex zwischen erwachsenen Männern und minderjährigen Jungen zu befassen wagt, für einen Vorbehaltsvermerk und ein Verbot in Betracht kommen. Es gibt keine "R"-Einstufung (Restricted, Vorbehalt) für Bücher (oder Filme), die sich mit Minderjährigensex befassen. Nach dem Gesetz ist jede Abbildung eines Kindes unter 16 Jahren, an der "ein vernünftiger Erwachsener" Anstoß nimmt, Kinderpornografie, die für ein Verbot in Betracht kommt. Keine vernünftige Person würde Kindesmissbrauch bei der Herstellung von Pornografie verteidigen wollen, obwohl es durchaus wirksamere Methoden zur Vorbeugung gegen diese Art von Missbrauch geben könnte als die fragwürdige Verfahrensweise der Bücherverbrennung. Die entscheidende Frage ist aber, ob diese Bücher tatsächlich Pornografie sind und ob dafür Kinder missbraucht werden. Wäre es vielleicht möglich, dass die Zollbehörde das Gesetz solchermaßen interpretiert, dass es den Lesern der regulären Schwulenlektüre die Suppe versalzt? Vielleicht. Es erscheint aber ebenso wahrscheinlich, dass sie ihre Macht ausüben will, und zwar die Macht auf Grund eines erst vor kurzem erlassenen autoritären Gesetzes, indem sie ganz bestimmte Veröffentlichungen unter Beschuss nimmt, das heißt, Veröffentlichungen, die einer heterosexuellen Leserschaft am ehesten ein Dorn im Auge sein dürften. Welche Veröffentlichungen lägen da mehr auf der Hand als solche über schwule Minderjährige? So bald wird wohl keine Jury einen "Pornografen" freisprechen. Fest steht, dass die Zollbehörde durch die nicht immer gleichermaßen sachkundige, manchmal hysterische und fast immer homophobe Annäherung an die öffentliche Diskussion über die Sexualität von Kindern in Australien ermuntert worden ist. Trotz einer Reform der gesetzlichen Bestimmungen über Homosexualität sollte man nicht vergessen, dass nach dem Gesetz immer noch niemand unter 16 Jahren wo auch immer in Australien Sex haben darf. In Westaustralien ist Schwulensex für Männer unter 21 immer noch verboten. Das Verbot des Films Baise Moi in unseren Kinos ist nur ein Beispiel dafür, wie die politische Rechte die Diskussion und die Aufsicht über die Zensur in Australien vereinnahmt hat. Der manipulative Würgegriff, in dem Brian Harradine und Konsorten den Senat gehalten haben 3), in Verbindung mit dem ängstlichen christlichen Kader der beiden großen Parteien hat zur Verabschiedung einiger merkwürdiger Gesetze geführt. Dazu gehören die Zensurgesetze des Jahres 1995. Zwanzig Jahre nachdem die Anführer der Schwulenbewegung (wer immer das waren und was immer ihr Mandat war) 4) dazu übergingen, jede Diskussion über sexuelle Beziehungen zwischen Personen unterschiedlicher Generationen zu unterdrücken, um so die homophoben Behörden zu einer teilweisen Anerkennung der "Schwulenrechte" und zur Gewährung von Subventionen zur Bekämpfung von HIV/Aids zu bewegen, ist es jetzt höchste Zeit, dass wir uns wieder mit einem Thema beschäftigen, das immer in jeder westlichen Interpretation von Homosexualität aufs Tapet gekommen ist. Und das ist nicht erstaunlich. Das Thema der Liebe zwischen Männern und Jungen hat in der Literatur über die männliche Homosexualität von der Antike bis heute immer einen hohen Stellenwert gehabt. Wer das für ein Verbrechen hält, verurteilt ein umfassendes Genre der westlichen Literatur und Kunst zum Scheiterhaufen der Zensur, denn es hat seit Platon fast keinen einzigen Autor gegeben, der sich mit der männlichen Homosexualität befasst hätte, ohne die Liebe zwischen Männern und Jungen zu erörtern.
Fotos, Gemälde und Skulpturen vermitteln ein noch aufschlussreicheres Spektrum entkleideter Jugendlicher; die schaffende Hand war oft die eines erklärten Jungenliebhabers. All jene frechen griechischen Vasen und Denkmäler, die dämonischen Ölgemälde des Caravaggio 5) (Gemälde, die auf der Ausstellung Italian Masters in Australien nicht zu sehen sein werden); die unzähligen Ganymede und Davids, insbesondere die Statuen des Donatello 6); die Jünglinge, die im klassisch griechischen Stil für von Gloeden posierten; die wollüstigen Comicstrips von "Zack" 7), die Skizzen von Donald Friend; die Bilder und Fotos von Will McBride, um nur einige zu nennen. Diese überwältigende Beschäftigung mit dem Thema der Jungenliebe löst verständlicherweise die Frage nach dem Warum aus. Sind schwule Männer denn tatsächlich die perversesten von allen? Oder haben wir eine Tradition, die uns gebietet, unsere sexuellen Sehnsüchte unter die Lupe zu nehmen und sie auf eine Art und Weise zu rühmen, wie sie von Heterosexuellen nicht verlangt wird oder zu der sie nicht fähig sind? Es ist dies eine Tradition, die unbedingt verteidigt werden muss, nicht nur gegen prüde, politisch rechtsgerichtete Leute, sondern auch gegen diejenigen in unseren eigenen Reihen, welche die vergangenen zwanzig Jahre von Enthüllungen über Sex zwischen Erwachsenen und Minderjährigen männlichen Geschlechts falsch verstanden haben. Zu den Veröffentlichungen, die jetzt von der Zollbehörde unter Beschuss genommen wurden, gehören der Roman Streetboy Dreams von Kevin Esser (an Nummer 53 der Liste mit den beliebtesten Homo-Büchern auf der Website der Association of Lesbian and Gay Men's Publishers, die Zeitschrift Paidika, die ihr Erscheinen eingestellt hat, die niederländische Zeitschrift Koinos, Scum von Fidelity Publishing, Flesh von Gay Sunshine Press und My First Time von Alyson Publication. All diese Veröffentlichungen (bis auf Koinos) waren frei erhältlich in australischen Buchhandlungen und schmücken bei manchem von uns den Bücherschrank. Diese Bücher und Zeitschriften befassen sich in der Tat mit sexuellen Beziehungen zwischen Männern und minderjährigen Jungen. Aber das Beschreiben, Abbilden, Behandeln oder Besprechen einer Beziehung bedeutet nicht notwendigerweise, dass diese Beziehung "empfohlen" oder gebilligt wird. Nach den Customs (Prohibited Imports) Regulations - Zollvorschriften (für Waren, die nicht eingeführt werden dürfen) - ist das Anpreisen von Pädophilie eine Straftat. Obwohl sogar das nicht ungesetzlich sein sollte. In Australien gibt es das Grundrecht der politischen Äußerung. Darunter sollte das Recht fallen, unsere Formen der Sexualität aus einer positiven Einstellung heraus zu erörtern und für die Abschaffung unnützer sexualfeindlicher Gesetze zu plädieren 8). Damit sind auch die Gesetze gemeint, die Altersgrenzen festlegen: Sie sind willkürlich und unzweckmäßig und schützen Kinder nicht vor einer Vergewaltigung. Wir stecken den Kopf in den Sand, wenn wir uns in unserer Kultur sagen, dass es liebevolle, homosexuelle Beziehungen zwischen Personen unterschiedlicher Generationen nicht gibt. Leider haben die Eiferer gegen Kindesmissbrauch die Taktik verfolgt, jede Diskussion, die sich gegen ihre eigene starre Meinung über Jugendsexualität wendet, im Keim zu ersticken. Aber, und jedes Missbrauchsopfer weiß dies: Ein Problem verschwindet nicht, indem man es unter den Teppich kehrt. Nicht nur Jugendlichen wird in Australien untersagt, eine reiche Auswahl an Zeitschriften, Filmen und Videos zu lesen und anzusehen. Wir alle leben in einem großen Kinderzimmer, in dem die Behörden unter dem Vorwand, eine "sicherere" Gesellschaft schaffen zu wollen, unser Selbstbestimmungsrecht immer mehr einschränken. Die Abschaffung unserer Verantwortung macht uns nicht sicherer 9), sondern verletzlicher. Das kann jedes Kind bestätigen. Wenn wir nicht gemeinsam eine Aktion unternehmen, um das Recht der freien Meinungsäußerung und der politischen Redefreiheit zu schützen, werden rechtsgerichtete Instanzen unter Hinzuziehung der australischen Zollbehörde und des Office of Film and Literature Classification (Bundesamt für die Prüfung von Filmen und Schriften) zunehmend unser Recht verletzen, zu lesen, zu hören und uns anzusehen, was wir wollen. 10) |
Noten:
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