Jugendschützer bilden sich fortGerald Jörns 31.10.2000 Gewalt und Kinderpornografie im BlickpunktRund 200 Mitarbeiter der Polizei und der Staatsanwaltschaft sowie Lehrer und andere Jugendschützer setzten sich auf der zweitägigen Jahrestagung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ( BPjS) mit den Wirkungen von Gewaltspielen und den rechtlichen Konsequenzen der Verbreitung von Kinderpornografie auseinander. "Solche Sachen gehören nicht in Kinderhände." Mit diesem Plädoyer stellte die Vorsitzende der Bundesprüfstelle Elke Monssen-Engberding noch einmal klar, dass jugendgefährdende Inhalte nichts auf Rechnern von Kindern und Jugendlichen zu suchen haben. Auch wenn die Wirkungsforschung immer noch keine eindeutigen Ergebnisse vorliegen kann, geht man bei der Bundesprüfstelle in den Entscheidungen von einer begründeten Wirkungsvermutung aus. Besonders durch das Internet haben Kinder und Jugendliche einen schnelleren und unkomplizierteren Zugang zu allen Inhalten. Deshalb ist ein schlagkräftiger Jugendschutz unabdingbar. Gerade die aktuellen Computerspiele vermischen Fiktion und Wirklichkeit, sodass Kinder und Jugendliche in diesen Szenarien immer öfter in die Rolle des Tötenden gedrängt werden. Aus den Spielen lernen sie nur eines: "Menschen auf unterschiedliche Weise zu töten." Dennoch waren sich die Teilnehmenden einig, dass der beste Medienschutz immer noch eine umfassende Medienkompetenz ist. Moorhuhnjagd von Nazi-Organisation verfälscht Mit Erschrecken nahmen die Teilnehmer der Jahrestagung die Bilder der verfälschten Moorhuhnjagd (siehe Menschenverachtende Version des Moorhuhns von US-Servern verbannt http://www.heise.de/tp/deutsch/special/game/4142/1.html ) zur Kenntnis. Eine Nazi-Organisation hatte den Moorhühner durch Gebetskäppchen und Schläfenlocken ein jüdisches Aussehen gegeben. Als Kulisse gab man einer Wegkreuzung noch die Schilder von Konzentrationslagern und an einem Baum hing ein Plakat des Propagandafilms "Der ewige Jude". Gleich zu Beginn des Spiels wird auf die "richtige Gesinnung" durch Rufe wie "Adolf Hitler - Sieg Heil" eingestimmt. Zwar kann jedermann mittels eines Editors Veränderungen an dem ursprünglichen Moorhuhnspiel vornehmen, aber bei Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass muss ein Riegel vorgeschoben werden. Solche Darstellungen können auch nicht mehr unter den Deckmantel der Meinungsfreiheit fallen, weil sie eindeutig Stellung beziehen und die Ideologie der Judenpogrome weiterverbreiten. Ganz abgesehen davon, dass Spiele mit NS-Kennzeichen schon strafrechtlich relevant sind, hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften diese Version ebenfalls in die Liste jugendgefährdender Spiele aufgenommen, sodass Kinder und Jugendliche keinen Zugang mehr erhalten dürfen. Polemische Bemerkungen von Journalisten, die die Frage stellen: "Wird ein Jugendlicher nach dem Spielen der Nazi-Moorhuhnjagd der NPD beitreten und Jagd auf Juden machen?" helfen den Jugendschützern bei ihrer Entscheidung nicht weiter. Jeder Jugendschützer wird die Frage beantworten können, denn die eindeutige Antwort ist NEIN! Aber mit einer solchen Frage ist nur ein Teil einer möglichen Wirkung angesprochen, denn:
Normen und Werte einer Gesellschaft zu vermitteln, ist ein erzieherischer Auftrag, dem sich auch der Gesetzgeber verpflichtet fühlt. Es muss deutlich sein, wem der Jugendschutz gilt: Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, denen es durch eine Indizierung erschwert wird, an bedenkliches Material zu gelangen. Ein Spiel auf dem Index bedeutet nicht, dass es nicht mehr verkauft werden darf, es darf lediglich nicht mehr öffentlich dafür geworben werden oder in Regalen ausgestellt sein. Dies mit Zensur auf eine Stufe zu stellen, ist daher falsch. Eine unsachliche Argumentation der Thematik wie im Parallelartikel Computer sind Waffen über dieselbe Veranstaltung hilft an dieser Stelle nicht weiter. Genauso wenig wie man den Moorhuhn-Editor oder DOOM-Editor verbieten will, will man die Schuhhersteller von Nazistiefeln verbieten. Es ist auch eine ganz andere Logik, wenn man Hakenkreuze nach dem Strafgesetzbuch ( StGB § 86 und 86a) verfolgt, selbst wenn sich solche in einer Grafiksammlung wie Corel Draw befinden. Auch dem Autor sollte die Meinung reichen, dass es Spielinhalte gibt, die sich von selbst verbieten. Für solche jugendschützerischen Maßnahmen wird man einen breiten gesellschaftlichen Konsens finden. Nicht immer sind eindeutige Wirkungsvoraussagen erforderlich, um die schädliche Wirkung von verunglimpfenden Inhalten zu bescheinigen. Wirkungsannahmen bei Computerspielen: TransferprozesseMit den Wirkungen der Computerspiele befassten sich zwei weitere Vorträge auf der Jahrestagung der Bundesprüfstelle. Längst nehmen Jugendschützer nicht mehr eine vereinfachte Formel "Gewaltdarstellung bewirkt Gewalt" zur Hand, wenn sie Spiele begutachten. Als besonders bedenklich gelten Computerspiele, in denen der Übergang zwischen virtueller und realer Welt verwischt ist. Relevant sind solche Annahmen immer dann, wenn es auch ein gewalttätiges Umfeld gibt. Genau an dieser Schnittstelle arbeitet der Jugendschutz, wenn er Spiele auf den berühmten Index setzt. Doch immer wieder stellt sich die Frage, welches Kind man schützen muss? Manche Jugendschützer sind der Auffassung, es gelte immer das schwächste Glied einer Kette zu schützen, andere setzen den Maßstab beim "durchschnittlichen Jugendlichen" an. An der Fachhochschule Köln befasst man sich zur Zeit intensiv mit den Übertragungsprozessen aus Computerspielen. Als Grundthese ist zu prüfen, ob durch eine bessere realitätsnahe Darstellung und durch intensives Spielen von gewalthaltigen Computerspielen Übertragungen auf den Spielenden stattfinden. So wurde eine Typologie vorgestellt, die Spiele mit symbolhafter oder realitätsnaher Darstellung einteilte. Ferner kategorisierte man Spiele mit indirekter und mittelbarer Handlung sowie direkte und unmittelbare Handlung. Bei den realitätsnahen Spielen kann ein Leiden der Spielfiguren auf dem Bildschirm miterlebt werden. Insofern stellt sich die Frage, ob solche detaillierte Darstellungen von Leiden und Schmerzen Transferprozesse bei den Spielenden hervorrufen. Deutlich wurde, dass bei den Spielenden nicht das Einüben von Handlungsanleitungen im Vordergrund steht, aber sie lernen ein Schema für das Verhalten in virtuellen Welten. Dennoch sind Fragen offen:
Den Transfer unterstützen Ähnlichkeitserlebnisse zwischen der virtuellen und realen Welt sowie eine mangelnde bzw. brüchige Rahmenkompetenz auf Grund des Alters oder der Persönlichkeit. An der Fachhochschule Köln wird man sich weiter mit der Frage auseinandersetzen, welche Schemata in den Spielen auftauchen und welche Transfers in die reale Welt ein Verhalten hemmen oder begünstigen. Wirkungsannahmen bei Computerspielen: EmpathieverlustAn der Ruhr-Universität Bochum ging man in einem DFG-Forschungsprojekt der Frage nach, ob Computerspiele zu einem Empathieverlust führen können. Erschreckend war die Meldung, dass nach Angaben der befragten Kinder (280) zwei Drittel der Eltern die Computerspiele ihrer Kinder nicht kennen. Nach einer sicher umstrittenen Studie stellten die Wissenschaftler bei manchen Computer-Kids eine starke emotionale Abstumpfung fest. Besonders signifikant soll die Absenkung der Aggressionsschwelle bei Kindern gewesen sein, die mehr als 10 Stunden pro Woche spielten. Ebenfalls auffällig, dass dieses bei Kindern mit geringer familiärer Bindung der Fall sei, berichtete Prof. Trudewind. Mit zu einem Abbau der Empathie führen nach Ansicht der Wissenschaftler Computerspielverbote im Elternhaus. Als stark aggressionshemmend hat sich ein ausgewogenes familiäres Umfeld und die Beteiligung der Eltern an den Spielen erwiesen. "Kinder mit hoher Bindungssicherheit an das Elternhaus scheinen immun gegen das Spielen mit Gewaltdarstellungen zu sein." Zusammenfassung der wichtigsten Befunde von Dr. Steckel und Prof. Trudewind:
Leider war auf der Jahrestagung kein Raum für eine Diskussion vorhanden, denn viele Teilnehmer waren mit der Untersuchung überhaupt nicht zufrieden und hielten die Ergebnisse in Korrelation zu anderen nicht berücksichtigten Faktoren für äußerst fragwürdig. Unter anderem fand man es merkwürdig, Kinder nach ihrer Bindung an das Elternhaus zu befragen. Dennoch gibt es auch Zahlenmaterial, das erschrecken müsste: 46,8 Prozent der Kinder bewerten Gewaltspiele eher positiv. Nur 17 Prozent geben eine eindeutige Ablehnung solcher Spielinhalte an. Ein Teilnehmer warf dann auch ein, dass viele Kinder fast ausschließlich indizierte oder Gewaltspiele kennen und spielen. Wirtschaftsgut Computerspiele und JugendschutzDem Vortrag des Verbandes der Unterhaltungssoftware Deutschlands ( VUD) kann man entnehmen, dass im Bereich der Edu-, Info- und Entertainment-Software plus Konsolenspiele im Jahr 1999 insgesamt 79 Millionen Exemplare umgesetzt wurden. Das macht ein Umsatzvolumen von 3.3 Milliarden DM aus, das jährlich um ca. 10 Prozent wächst. Über 50 Prozent der Software-Käufer sind unter 30 Jahren. Der Umsatz bei den Konsolenspielen wird von 70 Prozent aller Nutzer bis 19 Jahren gemacht. 85 Prozent der Konsolennutzer sind Jungen. Alle Computer- und Konsolenspiele von VUD-Mitgliedern werden inzwischen von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle ( USK) begutachtet und mit einer Alterskennzeichnung versehen. In der USK-Statistik von 1994 bis 1999 wurden eingestuft: 32,9 % ohne Altersbegrenzung, 15,0 % geeignet ab 6 Jahren, 23,0 % geeignet ab 12 Jahren, 22,8 % geeignet ab 16 Jahren und 4,7 % nicht geeignet unter 18 Jahren. 1,6 Prozent der eingereichten Titel erhielten keine Kennzeichnung. Letztlich landen nur 0,5 Prozent aller Produkte auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, so Roland Schäfer vom VUD. In einer Schulklassenbefragung wurde nach Angaben eines Medienreferenten deutlich, dass insbesondere Jungen indizierte Spiele spielen. Nach Angaben des VUD werden hier in erster Linie raubkopierte Computerspiele gespielt. Wenn ein Vertreter des Handels auf diesen Umstand hinweist, mag man ihm natürlich Parteilichkeit unterstellen. Tatsache bleibt, dass es sich um einen Strafbestand handelt, den selbst viele Erwachsene als Kavaliersdelikt ansehen. Doch wie sollen Kinder bei diesen Vorbildern ein Unrechtsbewusstsein entwickeln? Themenschwerpunkt KinderpornografieWie Heise News berichtete, klickten über 454.000 User eine T-Online-Seite mit kinderpornografischen Inhalten an. Inzwischen sind nach Angaben des verantwortlichen Oberstaatsanwaltes Walter weit mehr als 16.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Auch wenn kinderpornografisches Material nicht für Kinder und Jugendliche hergestellt und sehr wahrscheinlich nicht von ihnen konsumiert wird, gilt es, Kinder vor solchen Produkten zu schützen. "Kinder könnten die Rolle als Anschauungsobjekt akzeptieren, außerdem ist es eine Herabwürdigung zu Schauobjekten", so Wilfried Schäfer von der BPjS. Besonders Pädophile nutzen entsprechendes Material als Wegbereiter zur Kinderschändung. Deshalb sei eine Indizierung auch Opferschutz. Kinder müssen vor Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung bewahrt werden. "Kinder, die ihre nackte Haut zu Markte tragen, gilt es zu schützen." Claudia Bundschuh, die Autorin des Buches "Pädosexualität - Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen" (erschien bei Leske+Budrich), versuchte den Teilnehmern etwas über Konsum und Wirkung von Kindererotika/-pornografie näher zu bringen. Sie verdeutlichte, dass Pädophile ihr sexuelles Begehren dauerhaft auf Kinder ausrichten. Nicht selten wird im Verlauf der sexuellen Orientierung eine hohe Zahl von Kindern sexuell missbraucht. Häufig begleitet Pädosexualität der Konsum von Kinderpornografie. "Nicht selten waren auch Tötungsfantasien vorhanden", berichtete Claudia Bundschuh bei einem erläuternden Gespräch. Alle Täter haben nur ein geringes Unrechtsbewusstsein. Kindliche Neugierde wird fast immer als sexuelle Neugierde umgedeutet. Claudia Bundschuh versuchte den Tagungsteilnehmern ein paar Merkmale zur Entstehung von pädophilen Neigungen zu vermitteln:
Magazine oder Abbildungen werden gedeutet als das Vorhandensein einer großen Gruppe von Gleichgesinnten: Man fühlt sich nicht mehr allein, und es wirkt als Akzeptanz durch die Gesellschaft. Die pädophilen Täter machen es sich ganz einfach: Kleine Jungen bleiben kleine Jungen. Kleine Mädchen sind schon Frauen. Strahlende Kindergesichter auf entsprechendem kinderpornografischen Material dient ihnen zugleich als Rechtfertigung. Material wird zum begehrten Tauschobjekt, wobei dieses sogar als Tauschobjekt für Opfer zum Einsatz kommt. Hier spielt das Internet eine immer größere Rolle. Für BKA-Kriminalkommissar Kaltwasser gilt die Verbrechensaufklärung bei kinderpornografischem Material in erster Linie der Opfersuche und der Identifikation der Täter. Dabei ist oft aber die Zuordnung äußerst schwierig. 80 Prozent des Materials stammt aus dem Ausland, und es mangelt an einer internationalen Zusammenarbeit. So definiere Schweden junge Menschen bis 18 Jahre als Kinder, Deutschland aber nur bis 14 Jahre. In letzter Zeit tauche auch virtuell erzeugte Kinderpornografie auf, die durch die grafische Manipulation von Bildmaterial entsteht. Unverfängliche Fotos werden erst durch die Manipulation durch Grafiksoftware zu digitaler Kinderpornografie. Dabei liegt nicht immer ein Kindesmissbrauch vor, ist aber nach Ansicht eines Staatsanwaltes eindeutig als kinderpornografisches Material zu behandeln. Der Staatsanwalt sicherte auch zu, dass das BKA sich auf eine solche rechtliche Wertung verlassen könne. Weiter berichtete der BKA-Beamte: "Überhaupt ist das Risiko enorm, wenn Sie mit ihren Kindern an den FKK-Strand gehen, dort gefilmt zu werden. Das Material finden Sie dann später im Internet wieder, gefilmt mit Zoom aus einer Blechdose". Ein FazitGrundsätzlich wurden keine neuen Erkenntnisse durch die Referenten vermittelt. Besonders enttäuschend war der Vortrag "Pornografie im Widerstreit zwischen Jugendschutz und Medienfreiheit" von Prof. Dr. Martin K.W. Schweer von der Hochschule Vechta. Er versuchte zu verdeutlichen, dass man nicht nur an rechtliche Rahmenbedingungen denken solle, sondern auch an Medienkompetenz. Doch dann folgte leider eher die Vorlesung für ein erstes Semester als ein Vortrag vor Fachleuten. So gab er zum Beispiel an, dass "der Konsum von Pornografie nicht zwangsläufig zum Kindesmissbrauch führt." Den Praktikern der Polizei war die schwammige Diskussion um die Wirkungsforschung zuwider, denn sie erleben es häufig in der Praxis, dass Täter erst Kinderpornografie konsumieren und sich dann irgendwann ihre Opfer suchen. So konnte man auf der Jahrestagung der BPjS lediglich vorhandenes Wissen vertiefen und in der eng bemessenen Freizeit einen kollegialen Erfahrungsaustausch pflegen. Diese Diskussionen hätte man durch Freiräume im Ablaufplan vertiefen können. Am Schluss einer Tagung hat erfahrungsgemäß kaum noch jemand Lust, über Wirkungsannahmen zu reden, zumal keiner der Referenten vom Vortag noch anwesend war. Kausale Lücken in wissenschaftlichen Erklärversuchen lassen sich zumindest nicht mit Polemik füllen, denn dann bleibt der Jugendschutz auf der Strecke. Lesen Sie auch:
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