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Sexuelle Erfahrungen in der Jugend und WohlbefindenInteressantes Symposion in RotterdamBob FergusonSeit Mitte der siebziger Jahre ist deutlich geworden, daß sexueller Mißbrauch von Kindern in weit größerem Umfang vorkommt, als man bis dahin vermutet hatte. Die berechtigte Besorgnis über dieses Phänomen, das sich offensichtlich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie manifestiert, hat jedoch dazu geführt, daß sich die allgemeine Ansicht festgesetzt hat, die meisten, wenn nicht alle, psychischen Störungen bei Erwachsenen seien auf sexuelle Erfahrungen in der Jugend zurückzuführen und solche Erfahrungen führten so gut wie immer zu schweren Schäden im späteren Leben. Neuere Analysen wissenschaftlicher Untersuchungen auf diesem Gebiet zeigen jedoch, daß einige jener Annahmen unhaltbar sind oder zumindest einer Nuancierung bedürfen. Am 18. Dezember 1998 fand in der Paulus-Kirche im niederländischen Rotterdam eine Studienkonferenz statt, deren wichtigstes Thema die Präsentation der Ergebnisse einer Untersuchung der vermeintlichen Eigenschaften des sexuellen Kindesmißbrauchs war, auf der Grundlage von Metaanalysen früher veröffentlichter wissenschaftlicher Studien. Drei Publikationen zu diesen Untersuchungen von Bruce Rind, Robert Bauserman und Philip Tromovitch aus den USA wurden in früheren Ausgaben von Koinos bereits besprochen. Bauserman und Tromovitch waren in Rotterdam anwesend, um die Ergebnisse einem Kreis vorzulegen, in dem sich unter anderem Vertreter aus dem Bereich der niederländischen Sexual- und Sozialwissenschaften befanden. Veranstaltet wurde die Konferenz von der niederländischen Stiftung für Kirchliche Sozialarbeit (KSA), Inspirator war Pastor Hans Visser. Pastor Visser zeigte ein hohes Maß an Mut, da er ein Thema, zu dem sich die Meinungen in den letzten Jahren anscheinend unerschütterlich verfestigt haben, einmal in einer nuancierteren Art und Weise durchleuchten lassen wollte. Das Motto der Konferenz war denn auch: ‘Die Kehrseite der Medaille’, um anzugeben, daß zu diesem Thema mehr zu sagen ist als das, was man in letzter Zeit üblicherweise darüber hört. Unter demselben Titel erschien aus Anlaß der Konferenz auch ein kleines, von der Stiftung KSA im Selbstverlag herausgegebenes Buch in niederländischer Sprache mit Beiträgen mehrerer Autoren. Das Echo in der niederländischen Presse war erschreckend gering. Wenn überhaupt über die Konferenz berichtet wurde, so wurde diese als unbedeutend abgestempelt, und wurde auf den Kern der Sache nicht eingegangen. Die Bedeutung der Konferenz liegt denn auch eher in möglichen Folgeinitiativen aus wissenschaftlichen Kreisen. AnnahmenIn der Welt der geistigen Gesundheitsfürsorge, Politik, Polizei und Justiz, aber auch in den Medien und der breiten Öffentlichkeit hat sich in bezug auf die sexuelle Interaktion mit Kindern und Jugendlichen, wobei Zwang ausgeübt wird oder ein signifikanter Altersunterschied besteht, in der Fachliteratur gewöhnlich als sexueller Kindesmißbrauch oder Child Sexual Abuse (CSA) bezeichnet, eine Reihe von Annahmen durchgesetzt. So seien für CSA im allgemeinen folgende Eigenschaften bezeichnend: 1) er verursache Schäden; 2) diese Schäden kämen in großem Umfang vor; 3) diese Schäden seien meistens gravierend; 4) sie seien bei Jungen und Mädchen gleichermaßen stark und gleichermaßen negativ. Außerdem wird angenommen, daß das, was aus klinischen Populationen (Patienten, die eine Therapie machen) über dieses Thema bekannt geworden ist, allgemeingültig sei. Rind, Bauserman und Tromovitch sind der Frage nachgegangen, ob solche sexuellen Interaktionen bei den Personen, die sie in ihrer Jugend erlebt haben, tatsächlich in großem Umfang zu schweren psychischen Schäden führen, die bei beiden Geschlechtern und bei klinischen wie nichtklinischen Populationen in gleichem Umfang vorhanden sind. Qualitative LiteraturuntersuchungIn den vergangenen Jahren ist über Korrelationen zwischen psychischen Symptomen und sexuellen Erfahrungen in der Jugend, mit Zwang und einem signifikanten Altersunterschied verbunden oder auch nicht, eine Vielzahl von Untersuchungen erschienen. Obwohl die meisten jener Untersuchungen die gleichen Annahmen über Kausalität, Intensität, Umfang und Gleichwertigkeit für Jungen und Mädchen vertreten, gelangen sie nicht immer zu denselben Schlußfolgerungen. Aus qualitativen Literaturuntersuchungen lassen sich sogar nur wenig allgemeine Schlußfolgerungen ziehen, weil sie sich nicht als konsistent erweisen, im allgemeinen unter mangelnder Repräsentanz bei den untersuchten Populationen zu leiden haben und sich überdies für eine Verzerrung infolge von Subjektivität und Ungenauigkeit anfällig zeigen. In einer qualitativen Literaturuntersuchung werden Aussagen aus früher erschienenen Untersuchungsberichten gesammelt und wird in erzählender Form zusammengefaßt, was darin anscheinend ausgesagt wird. Die Autoren solcher Untersuchungen gelangen im allgemeinen vorwiegend zu der Schlußfolgerung, daß CSA mit einer erheblichen Zahl psychischer Probleme, darunter Depressionen, Ängste, Beziehungsprobleme und geschwächtes Selbstvertrauen, assoziiert werden müsse. Des öfteren haben sie ohne weiteres angenommen, sexueller Mißbrauch sei tatsächlich die Ursache für die festgestellten Probleme und die meisten Personen mit Erfahrungen im Zusammenhang mit CSA würden im späteren Leben mit solchen Problemen konfrontiert. Manche betonten dabei, es sei ein Mythos, daß Jungen in geringerem Maße durch CSA beeinflußt würden als Mädchen. Nicht alle Forscher stimmten jedoch diesen Schlußfolgerungen zu. Die vermeintliche Kausalität wurde von einigen von ihnen ernstlich angezweifelt, weil die beobachteten psychischen Störungen genausogut aus anderen Problemen in der familiären Situation erklärt werden könnten, in der die beteiligten Personen aufwuchsen und in der Erfahrungen des sexuellen Mißbrauchs nur einen Teil eines Komplexes von möglichen Ursachen für vermindertes Wohlbefinden im späteren Leben darstellten. Das gravierendste Problem bei der Interpretation dieser Untersuchungen ist jedoch der Umstand, daß sie sich nahezu ausschließlich mit klinischen oder gerichtlichen Populationen befassen, von denen keineswegs angenommen werden kann, daß sie für die Gesamtbevölkerung repräsentativ sind. Die Subjektivität der Forscher führt offensichtlich in wesentlichem Maße zu einem verzerrten Bild. Forscher, die überzeugt sind, daß CSA immer zu schweren Schäden führt, neigen dazu, nach den Beispielen zu suchen, die dieses Bild bestätigen. Qualitative Forschung ist ihrer Art nach subjektiv und daher anfällig für solche Verzerrungen. Es fällt auch auf, daß mit der Interpretation statistisch ermittelter Zusammenhänge öfter ungenau umgegangen wird. Während die Untersuchungsergebnisse auf statistisch signifikante, aber schwache Zusammenhänge deuten, ist bei den Forschern von nachweislichen schlimmen Folgen die Rede, ohne daß sie dabei die erforderliche statistische Nuancierung vornehmen. MetaanalyseUm die Probleme, die sich bei der qualitativen Literaturuntersuchungen ergeben, zu vermeiden, wurde eine Anzahl quantitativer Literaturuntersuchungen oder Metaanalysen durchgeführt, auf der Grundlage statistischer Techniken, die es ermöglichen, die Ergebnisse unterschiedlicher Untersuchungen zahlenmäßig miteinander zu vergleichen und zu allgemeineren Schlußfolgerungen zu kombinieren. Aus quantitativen Untersuchungen auf dem Gebiet des sexuellen Kindesmißbrauchs und von sexuellen Erfahrungen in der Jugend kann ein Bild von dem ‘Effektumfang’ solcher Jugenderfahrungen entstehen. Der Effektumfang sagt uns, wie groß der Unterschied im psychischen Wohlbefinden zwischen Personen mit und ohne CSA-Erfahrungen ist. Sowohl bei Personen mit CSA-Erfahrungen wie auch bei Kontrollgruppen ohne solche Erfahrungen mißt man selbstverständlich eine große Verschiedenheit bei den Faktoren, die mit dem psychischen Wohlbefinden in Zusammenhang gebracht werden. In beiden Gruppen gibt es Personen, um die es ausgezeichnet bestellt ist, Personen, denen es weniger gut geht, und Personen, die schlichtweg übel dran sind. Wenn sich die Verhältnisse zwischen den beiden Gruppen (mit und ohne CSA-Erfahrungen) deutlich unterscheiden, liegt ein signifikanter oder statistisch bedeutungsvoller Unterschied vor. Damit ist aber die Frage, inwieweit die CSA-Erfahrungen dafür verantwortlich gemacht werden können, noch nicht beantwortet. Es könnte ja sein, daß andere Umstände, die möglicherweise oft in Verbindung mit CSA-Erfahrungen auftreten, mit Schuld daran sind. Indem die Ergebnisse vergleichbarer Untersuchungen des psychischen Wohlbefindens hinzugezogen werden, wobei nicht CSA-Erfahrungen, sondern andere unterscheidende Faktoren eine Rolle spielen, kann man den Einfluß jener verschiedenen Faktoren quantifizieren. Der Effektumfang wird in der Regel in Prozenten ausgedrückt. So sagt man, daß CSA einen sehr starken Effekt auf das psychische oder soziale Wohlbefinden hat, wenn dieser Faktor für mindestens 50% der gemessenen Variabilität im Wohlbefinden verantwortlich ist. Ein Anteil von mindestens 25% wird als ein starker Effekt bezeichnet, ein Anteil zwischen 10% und 25% ist ein durchschnittlicher Effekt, und ein geringerer Anteil heißt ein kleiner Effekt. Es zeigt sich nun, daß der Effektumfang von CSA-Erfahrungen in bezug auf das Wohlbefinden niemals stark oder sehr stark ist und außerdem von der Art der untersuchten Population abhängt. Jumper gelangte in einer Metaanalyse aus dem Jahr 1995 zu der Schlußfolgerung, daß CSA für lediglich 0,8% der Unterschiede im Wohlbefinden bei Studentenpopulationen, für 2,25% bei allgemeinen Bevölkerungspopulationen und für 7,30% bei klinischen Populationen verantwortlich ist. Eine vergleichbare Metaanalyse einer anderen Gruppe von Forschern aus dem Jahr 1996 ermittelte einen Effektumfang von 1,4% für nichtklinische Populationen und von 3,6% für klinische Populationen. Mit anderen Worten: Die Unterschiede zwischen klinischen und allgemeineren Populationen sind beträchtlich, und der Effektumfang bei allgemeinen Populationen ist gering. Damit ist empirisch nachgewiesen, daß die Behauptung, CSA verursache in großem Umfang schwere Schäden, maßlos übertrieben ist und daß dasjenige, was zu diesem Thema aus klinischen Populationen bekannt ist, keine Allgemeingültigkeit hat. Man kann sicher behaupten, daß eine statistische Korrelation zwischen CSA und Wohlbefinden festgestellt worden ist. Quantitative Untersuchungen führen eine solche Aussage aber auf das richtige Maß zurück und vermitteln ein wesentlich nuancierteres Bild der Lage. Trotzdem haften den beiden genannten Metaanalysen noch einige wichtige Mängel an. So wurden fast ausschließlich weibliche Populationen untersucht, und es wurde nicht untersucht, inwieweit der nachgewiesene Zusammenhang zwischen CSA und vermindertem Wohlbefinden auf eben jenen CSA oder auf andere Faktoren wie ungünstige Familienverhältnisse zurückzuführen ist. Auch blieb die Frage unbeantwortet, bei welchem Anteil der Personen mit CSA-Erfahrungen die genannten Effekte festgestellt wurden. Diese Mängel veranlaßten Rind, Bauserman und Tromovitch, zwei eigene Metaanalysen durchzuführen. Da bereits nachgewiesen worden war, daß Schlußfolgerungen aus klinischen Populationen nicht generalisiert werden können, widmeten sie sich allgemeineren Populationen. In den Heften 17 und 20 von Koinos wurden diese Metaanalysen bereits eingehender besprochen. Nationale UntersuchungenEin geeignetes Mittel, die Annahme, daß sexueller Mißbrauch eine besondere Gefährdung der geistigen Volksgesundheit darstelle, auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen, besteht darin, eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung vorzunehmen, und zu versuchen, daraus Schlußfolgerungen zu ziehen. Solche Untersuchungen sind tatsächlich in mehreren Ländern durchgeführt worden. Bauserman und Rind haben die Ergebnisse sämtlicher englischsprachigen nationalen Untersuchungen auf diesem Gebiet unter die Lupe genommen und miteinander verglichen. Zuallererst ist es wichtig zu wissen, welcher Anteil der Bevölkerung CSA-Erfahrungen gemeldet hat. Da ziemlich unterschiedliche Definitionen des Begriffs sexueller Kindesmißbrauch angewandt wurden, variierten diese Anteile natürlich ziemlich stark. Trotzdem entsteht das allgemeine Bild, daß etwa 11% der männlichen Bevölkerung mit solchen Erfahrungen konfrontiert worden sind, gegenüber etwa 19% der weiblichen Bevölkerung. Drei Untersuchungen stützten sich auf Selbstberichte und vermittelten auch ein Bild von den längerfristigen Effekten der CSA-Erfahrungen. Es zeigt sich, daß eine Minderheit der Jungen kurzfristig negative Folgen verspürte, gegenüber einer Mehrheit bei den Mädchen. Dauerschäden erweisen sich jedoch als singulär, und es wird, bei Jungen öfter als bei Mädchen, auch über positive Folgen berichtet. Fünf Untersuchungen enthielten objektive Messungen des psychischen oder sexuellen Wohlbefindens und ermöglichten es, den Effektumfang der CSA-Erfahrungen auf dieses Wohlbefinden zu bestimmen, d.h. inwieweit diese Erfahrungen für die gemessenen Unterschiede im Wohlbefinden entscheidend sind. Es zeigt sich, daß dies bei 0,5% der Männer und bei 1% der Frauen der Fall ist. Mit anderen Worten: etwa 99% der Variabilität im Wohlbefinden sind zwangsläufig auf andere Faktoren als CSA-Erfahrungen zurückzuführen. Daß als unerwünscht empfundene sexuelle Erfahrungen in der Jugend schädliche Folgen haben können, ist also als solches nachweisbar. Die Behauptungen, die Schäden seien in der Regel gravierend und dauerhaft, kämen in großem Umfang vor und seien für Jungen und Mädchen gleichartig, müssen jedoch ernstlich bezweifelt werden. StudentenpopulationenDie nationalen Stichproben erwiesen sich als besonders nützlich bei der Prüfung der herrschenden Ansichten über CSA. Es sind aber nur wenige derartige Untersuchungen durchgeführt worden, und sie liefern zu wenig Informationen, um die vermeintliche Kausalität der Schäden einschätzen zu können. Deshalb wurde eine zweite Metaanalyse einer Gruppe von Untersuchungen auf diesem Gebiet über nichtklinische Populationen vorgenommen. Man entschied sich für Untersuchungen über College-Populationen, weil es davon verhältnismäßig viele gibt (es wurden 54 derartige Untersuchungen in der Metaanalyse berücksichtigt) und weil sich die Ergebnisse dieser Untersuchungen in der Regel gut miteinander vergleichen lassen. Außerdem lieferten einige dieser Untersuchungen auch Informationen über die Reaktionen der befragten Personen auf erwünschte sexuelle Erfahrungen in der Jugend und über die Faktoren, die auf die Schwere der festgestellten Schäden Einfluß haben. Man könnte allerdings einwenden, daß diese Untersuchungen kein allgemeingültiges Bild vermitteln, ebensowenig wie dies bei Untersuchungen über klinische Populationen der Fall ist. Es zeigt sich aber, daß die Abweichungen wesentlich geringer sind. Es wurden vergleichbare Anteile von CSA-Erfahrungen festgestellt, und auch die Verteilung schwerer und weniger schwerer Formen des Mißbrauchs stimmte recht gut mit denen bei allgemeinen Populationen überein. Bei den Studentenpopulationen wurde derselbe Effektumfang von CSA-Erfahrungen wie bei den nationalen Populationen gemessen. Deshalb kann man sagen, daß für die Gewinnung eines allgemeinen Einblicks in den Effekt von CSA-Erfahrungen College-Stichproben substantiell bessere Daten ergeben als klinische Stichproben. Dadurch, daß bei einigen College-Untersuchungen zwischen erwünschten und unerwünschten sexuellen Erfahrungen in der Jugend unterschieden wurde, konnten die Ergebnisse in dieser Hinsicht aufgeschlüsselt werden. Werden auch erwünschte Erfahrungen in Betracht gezogen, so zeigt sich, daß der Umfang des Effekts auf das spätere Wohlbefinden bei Männern statistisch nicht signifikant größer ist. Bei Frauen ist dies wohl der Fall und beträgt der Effektumfang etwa 0,6%. Auch ermöglichten diese Untersuchungen es, der Frage nachzugehen, inwieweit bestimmte kontextuelle Faktoren auf den Effekt sexueller Erfahrungen in der Jugend Einfluß haben. Anders als gemeinhin angenommen wurde, waren die Reaktionen bei größerer Häufigkeit der Kontakte, längerer Dauer der Beziehung und erfolgter Penetration nicht negativer und die Folgen nicht gravierender. Dies ist wohl der Fall bei inzestuösen Beziehungen, bei Gewalt, Zwang oder Unfreiwilligkeit. Zu den Unterschieden in den Reaktionen zwischen Jungen und Mädchen haben einige Autoren von College-Untersuchungen bemerkt, daß Jungen anscheinend eher dazu neigen, ihre sexuellen Erfahrungen als ein Abenteuer zu empfinden, das ihre Neugier befriedigt, während Mädchen dies oft als eine Verletzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit und als etwas moralisch Verwerfliches empfinden. Bedeutungsvoll in diesem Zusammenhang ist auch, daß Frauen öfter als Männer inzestuöse Erfahrungen erwähnen, daß sie jünger waren, als sie ihre CSA-Erfahrungen hatten, und daß diese wesentlich öfter mit Zwang oder Gewalt verbunden waren. SchlußfolgerungenMetaanalysen zeigen eine statistisch signifikante Relation zwischen CSA-Erfahrungen und Wohlbefinden. Dieser Zusammenhang ist jedoch gering, und ein Kausalzusammenhang in dem Maße, wie er zur Zeit allgemein angenommen wird, wird nicht nachgewiesen. Andere Ursachen stellen wahrscheinlich ebenso wichtige Faktoren dar. Wenn Erfahrungen, die mit Zwang verbunden sind, und freiwillige Kontakte über einen Leisten geschlagen werden, entsteht ein Zerrbild. Die generelle Annahme, daß sexuelle Erfahrungen in der Jugend schädlich seien, daß diese Schäden in großem Umfang vorkämen und im allgemeinen gravierend seien, wird von den Untersuchungen nicht bestätigt. Die Annahmen, daß die schädlichen Effekte für Jungen mit denen für Mädchen und die für klinische Populationen mit denen für nichtklinische Populationen vergleichbar seien, erweisen sich als unhaltbar. Kurz, eine Nuancierung dessen, was auf diesem Gebiet als allgemeine Wahrheit angenommen wird, ist angebracht. Weitere RednerZu der Konferenz in Rotterdam lieferten auch einige niederländische Redner einen wichtigen Beitrag, wie etwa der pensionierte Psychiater Wijnand Sengers, der klinische Psychologe Lex van Naerssen und natürlich Pastor Hans Visser. Die Sexologin Gerda van Dijk ging auf die Frage ein, auf welche Art und Weise Sexualität eine Rolle in der Erfahrungswelt spielt, in der Gesellschaft, Emotionen und Körper wichtige Faktoren sind. Sie wies auf die Tatsache hin, daß die Einstellung zu eben diesen drei Elementen für Frauen und Männer merklich verschieden sein kann, so daß ein wesentlich anderes Erleben von Sexualität fast selbstverständlich ist. Während für Männer die natürliche sexuelle und partnerschaftliche Kommunikation über die Erregung zur Intimität führt, verläuft der Weg für Frauen in der Regel umgekehrt: zuerst die Intimität, dann die Erregung. In allgemeinerem Sinn gilt, daß Menschen bei sexuellen Kontakten der gleichen Art nicht unbedingt dieselben Erfahrungen machen. Als Voraussetzung für eine gute sexuelle Beziehung nannte Van Dijk vier Kernpunkte: gegenseitiger Respekt, Rücksichtnahme auf die Grenzen des anderen und dessen Entwicklungsstadium und schließlich Kommunikation. Wenn die Sache schiefgeht, kann man oft ein Zusammengehen von sexueller Gewalt, physischer Gewalt und emotionaler Vernachlässigung feststellen. Es hat sich gezeigt, daß diese Phänomene in der Regel unlöslich miteinander verbunden sind. Van Naerssen wies darauf hin, daß viele seiner männlichen Patienten mit sexuellen Problemen zu kämpfen haben, weil sie in ihrer Jugend zu wenig berührt worden sind, nicht weil sie mißhandelt oder mißbraucht wurden. Selbst aus einem Land stammend, in dem es ganz normal ist, daß sich Kinder gegenseitig liebevoll berühren, ist ihm aufgefallen, daß Körperkontakte bei westlichen Jungen vor allem in Form von Tritten und Schlägen erfolgen. Mehr Aufmerksamkeit für die Soziologie und Psychologie des Erziehungsklimas ist wichtiger als eine Sittengesetzgebung, die auf Moralismus und die irrige Ansicht gerichtet ist, daß alles in Gesetzen geregelt werden könnte. Als zu biologisch und zu negativ bezeichnete Gert Hekma, Dozent für Homosexualitätsstudien an der Universität Amsterdam, die Art und Weise, wie wir Kinder mit Informationen über Sexualität versorgen. Statt mit den Verkehrsregeln anzufangen, bringen wir ihnen als erstes bei, wie der Motor funktioniert. Wir werden einsehen müssen, daß Kinder sexuelle Wesen sind, und wir werden aktiv in ihre Mündigkeit investieren müssen. Zu den staatlichen Aufgaben, in sportliche und kulturelle Erziehung zu investieren, gehört auch die Förderung einer positiven sexuellen Infrastruktur, deren Grundlage das Leben ist, und nicht das Verheimlichen, Verschleiern und Sichschämen. Bauserman, R. und Rind, B., Psychological Correlates of Male Child and Adolescent Sexual Experiences with Adults: A Review of the Nonclinical Literature. In: Archives of Sexual Behavior, Vol. 26/2, 1997, SS. 105-141 Rind, B. und Tromovitch, P., A Meta-Analytic Review of Findings from National Samples on Psychological Correlates of Child Sexual Abuse. In: Journal of Sex Research, Vol. 34/3, 1997, SS. 237-255 Rind, B., Tromovitch, P. und Bauserman, R., A Meta-Analytic Examination of Assumed Properties of Child Sexual Abuse Using College Samples. In: Psychological Bulletin, Vol. 124/1, 1998, SS. 22-53 Visser, Hans (Hrsg.), De andere kant van de medaille. Stichting KSA (Walenburgerweg 55, NL-3039 AD ROTTERDAM, Niederlande), 1998. ISBN 90-5782-016-1
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